Der damaligen EU-Kommissionspräsident Barroso begründete 2010 die mittlerweile seit 12 Jahren bestehende Tradition, eine Rede zur Lage der Union zu halten und einen Ausblick auf die (parlamentarischen) Prioritäten der kommenden Monate geben.

Nachdem das Europäische Parlament sich in dieser Woche wieder turnusgemäß in Straßburg zur Plenarsitzung versammelte, konnte auch diese „Rede zur Lage der Union“ wieder am Straßburger Hauptsitz des Europäischen Parlaments und in Anwesenheit zahlreicher Europa-Abgeordneter und Mitglieder der EU-Kommission sowie Vertretern des Rats abgehalten werden.

Am 14. September hielt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihre nunmehr dritte Rede zur Lage der Europäischen Union. Sie zog Bilanz hinsichtlich der Errungenschaften des vergangenen Jahres und nannte die Prioritäten der EU-Kommission für die kommenden zwölf Monate. In einer umfangreichen und lebendigen Debatte erhielten die Mitglieder des Europäischen Parlaments im Anschluss die Gelegenheit, die Ergebnisse der Kommission zu kommentieren und zu bewerten.

Vor dem Hintergrund des nach wie vor andauernden russischen Angriffskriegs überrascht es kaum, dass die diesjährige Rede der Kommissionspräsidentin ganz im Zeichen der Solidarität für die Ukraine stand. In Anwesenheit des Ehrengasts First Lady Olena Zelenska, Gattin des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, unterstrich Ursula von der Leyen die Relevanz wirksamer und vor allem langfristiger Sanktionen gegen Russland. Außerdem sicherte sie der Ukraine umfassende Unterstützungsleistungen zum Wiederaufbau des Landes zu – angefangen von einer Direktzahlung über 100 Millionen Euro zur Rekonstruktion von Bildungseinrichtungen bis hin zu indirekter Hilfe in Form einer Aufnahme der Ukraine in den europäischen Binnenmarkt.

Zudem wurde ein wichtiges Zeichen der Annäherung in Richtung unserer Nachbarn auf dem Balkan gesetzt. „Ich möchte, dass unsere Freunde auf dem westlichen Balkan, in der Ukraine, in Moldawien und in Georgien wissen: Ihr seid Teil unserer Familie, eure Zukunft liegt in unserer Union“, so von der Leyen. Es ist gut und richtig, dass die Kommissionspräsidentin in Ihrer Rede Signale gesendet hat, die Mut machen. Jedoch müssen diesen Worten nun schnellstmöglich Taten folgen!

Im Kontext der massiven Auswirkungen des Ukrainekriegs auf die europäische Wirtschaft und unsere Bürgerinnen und Bürger, die sich insbesondere mit spürbarer Inflation sowie enormen Energie- und Strompreisen konfrontiert sehen, kündigte von der Leyen zusätzliche Maßnahmen zur Unterstützung der Mitgliedstaaten an, wobei bis zu 140 Milliarden Euro in Erleichterungen für EU-Bürgerinnen-und Bürger investiert werden sollen.

Mit dem für unsere kleinen und mittelständischen Unternehmen vorgesehenen Entlastungspaket und der Regulierung von Strompreisen folgt die EU-Kommission den Kernforderungen der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Damit der europäische Binnenmarkt allerdings auch künftig wettbewerbsfähig bleibt, sind weitere Entlastungen für den europäischen Mittelstand zwingend erforderlich.

Die CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament wird sich deshalb auch künftig und mit Nachdruck dafür einsetzen, zusätzliche Belastungen durch weitere Rechtsvorschriften zu verhindern und die Rahmenbedingen der Betriebe in Europa nachhaltig zu verbessern. Vor allem die Landwirtschaft soll aus unserer Sicht entlastet werden. Als CDU/CSU-Gruppe sind wir besorgt, dass die von der Kommission vorgesehene zusätzliche Regulierung von Pflanzenschutzmitteln Europas Landwirte letztendlich daran hindern könnte, genügend Lebensmittel für den Kontinent zu produzieren.

Die Warnung ist klar: Europa muss bei der Lebensmittelversorgung unbedingt unabhängig bleiben. Zusätzliche Abhängigkeiten, wie sie der Kontinent im Bereich Energie derzeit schmerzhaft erfährt, müssen dringend vermieden werden.

Neben zusätzlichen Maßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien, wie beispielsweise durch die Etablierung einer europäischen Wasserstoffbank, und dem Ziel der Stärkung der Rolle der EU in der Welt, u.a. durch die Einführung einer EU-Weltraumstrategie für Sicherheit und Verteidigung, lag der Schwerpunkt der Rede von der Leyens auf dem Schutz unserer europäischen Demokratie. So soll einerseits der Kampf gegen ausländische Einflussnahme auf innereuropäische Demokratien – wie durch die Verbreitung von „Fake News“ aus Drittstaaten – vorangetrieben und gleichzeitig die Rechtsstaatlichkeit innerhalb unserer Union stärker in den Fokus gerückt werden.

Schließlich sollen die EU-Bürgerinnen-und Bürger auch nach dem Abschluss der Konferenz zur Zukunft Europas weiterhin durch kontinuierlich stattfindende Bürgerforen einbezogen werden. Dass sich die Kommissionspräsidentin explizit für die Einsetzung eines europäischen Konvents ausgesprochen hat, ist aus Sicht des Europäischen Parlaments ebenfalls eine erfreuliche Nachricht. So hat das Parlament bereits im Juni eine Entschließung angenommen, in der es die Staats- und Regierungschefs auffordert, einen Konvent zur Überarbeitung der Verträge einzusetzen (Artikel 48 EUV). Noch ist offen, ob der Europäische Rat diesem Vorstoß zustimmt und damit den Weg für eine mögliche Änderung der Verträge ebnet.

Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament sieht es als ihre Pflicht an, die Implementierung der von der Kommissionspräsidentin geäußerten Vorhaben genau zu beobachten und im Interesse der EU-Bürgerinnen und Bürger entsprechende Änderungen einzubringen.

Sollten Sie die diesjährige Rede der Kommissionspräsidentin zur Lage der Union verpasst haben, möchte ich Sie hiermit herzlich einladen, diese unter nachfolgendem Link nochmals anzusehen: https://ec.europa.eu/info/strategy/strategic-planning/state-union-addresses_de.