„Europa lässt sich nicht mit einem Schlage herstellen und auch nicht durch eine einfache Zusammenfassung. Es wird durch konkrete Tatsachen entstehen, die zunächst eine Solidarität der Tat schaffen.“ (Robert Schuman)

Am 09. Mai, vor genau 71 Jahren, legte der damalige französische Außenminister Robert Schuman mit seinem Plan zur Schaffung einer überstaatlichen europäischen Institution zur Zusammenlegung der Kohle- und Stahlproduktion den Grundstein für das Europa, wie wir es heute kennen. Seine damals revolutionäre Idee stellte eine neue Art der politischen Zusammenarbeit vor, die kurz zuvor im größten militärischen Konflikt der Menschheitsgeschichte noch undenkbar gewesen wäre. Seither gedenken wir in ganz Europa jedes Jahr am 9. Mai dieser großartigen Errungenschaft und des außerordentlichen Privilegs, dass wir Europäerinnen und Europäer seither in Frieden, Einheit und Wohlstand leben können.

Die Vision eines geeinten Europas von Robert Schuman und seinem Mitstreiter Jean Monnet ging jedoch über eine bloße wirtschaftliche Zusammenarbeit hinaus. Bereits in den frühen Jahren der europäischen Gemeinschaft strebten sie nach Möglichkeiten einer politischen Kooperation. Nur durch die Schaffung konkreter Tatsachen, wie es Schuman nannte, kam die Europäische Integration anfangs mit der Zeit voran, sodass wir heute mit Stolz auf eine Europäische Union blicken können, die nicht nur aufgrund ihres ökonomischen Erfolgs, sondern insbesondere dank ihrer Werte und Normen ein Vorbild im internationalen Staatengefüge ist. Unsere bisherigen Errungenschaften zeugen von dem unermüdlichen Bestreben, die Europäische Union an den fortwährenden Prozess der Globalisierung anzupassen und gleichzeitig ihre demokratische Legitimation sicherzustellen.

Dieser Ansatz ist heute aktueller denn je. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten zu Recht, dass die Europäische Union Antworten auf die drängendsten Fragen unserer Zeit – vom Klimawandel über Digitalisierung bis hin zur Bewältigung der Corona-Pandemie – liefert und somit im Sinne Schumans konkrete Tatsachen schafft.

Umso mehr freue ich mich, dass der diesjährige Europatag mehr als jeder seiner Vorgänger im Zeichen der Weiterentwicklung unseres gemeinsamen Europas stand. Mit dem Auftakt der „Konferenz zur Zukunft Europas“, die am 9. Mai 2021 offiziell eröffnet wurde, erhalten Bürgerinnen und Bürger eine aktive Rolle in der künftigen Ausgestaltung des europäischen Integrationsprozesses. Ab sofort sind Bürgerinnen und Bürger explizit eingeladen, sich am „Europa von Morgen“ zu beteiligen, ihre konkreten Wünsche und Vorstellungen einzubringen.

Das bisher veröffentlichte Programm mit einer Vielzahl an Veranstaltungen auf lokaler, regionaler und europäischer Ebene und die bisher erzeugte Resonanz seitens politischer Parteien, gemeinnütziger Organisationen und Einzelpersonen zeigen eindrücklich, welch großes Potenzial in der Zukunftskonferenz liegt. Ich möchte auch Sie dazu ermutigen, sich aktiv einzubringen und die verschiedenen Partizipationsmöglichkeiten zu nutzen!

Sie können dies bereits jetzt bequem vom heimischen Sofa aus tun, indem Sie sich über die digitale Plattform https://futureu.europa.eu/ informieren und engagieren. Ausgestattet mit einem automatischen Übersetzungsprogramm ermöglicht die Plattform einen transnationalen Dialog, der es allen Europäerinnen und Europäern ermöglicht, miteinander in den grenzüberscheitenden Dialog zu treten. Ich bin davon überzeugt, dass Ihre vielfältigen Ideen dazu beitragen werden, die Zukunftskonferenz zu einem wichtigen Impulsgeber für Erneuerung und Reformen in Europa zu machen!

Parallel zur Eröffnung der Zukunftskonferenz gedachten wir am Europatag ebenfalls einer der ersten Verfechterinnen der europäischen Idee und Widerstandskämpferin gegen den deutschen Nationalsozialismus – Sophie Scholl, die dieses Jahr 100 Jahre alt geworden wäre.

Sophie Scholl, die am 9. Mai 1921 in Forchtenberg (Hohenlohekreis) geboren wurde und einige Jahre auch in Ludwigsburg lebte, ist eine der wichtigsten weiblichen Figuren des deutschen Widerstands, die bis zum Tage ihrer Hinrichtung im Alter von nur 21 Jahren ihrer tiefen Überzeugung treu blieb. Als Mitglied der Widerstandgruppe Weiße Rose verteilte Sie in der Münchner Ludwigs-Maximilians-Universität Flugblätter gegen Adolf Hitler. Dabei rief sie in der dunkelsten Stunde Deutschlands zur Einigkeit der europäischen Staaten auf. Im Flugblatt Nummer 5 der Weißen Rose heißt es: „Nur in großzügiger Zusammenarbeit der europäischen Völker kann der Boden geschaffen werden, auf welchem ein neuer Aufbau möglich sein wird. (…) Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.“

Es erfüllt mich mit Stolz, dass wir auf Vorschlag des EVP-Fraktionsvorsitzenden Manfred Weber – eines der Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel nach der Widerstandskämpferin Sophie Scholl benennen. Dies ist ein wichtiges Symbol in unserer heutigen Zeit, das uns stets ermahnt, unsere europäischen Werte vor neu aufkeimenden nationalistischen und populistischen Strömungen zu schützen und uns unermüdlich für Frieden und Demokratie auf unserem Kontinent und darüber hinaus zu engagieren. Die „Konferenz zur Zukunft Europas“ bietet in diesem Kontext eine große Chance, unter breiter Beteiligung der Unionsbürgerinnen und -bürger unsere Vision von einem auch künftig handlungsfähigen und demokratischen Europa zu verwirklichen.

In diesem Sinne: Bringen Sie Ihre zahlreichen Ideen ein und lassen Sie uns Europa gemeinsam gestalten, indem wir konkrete Tatsachen schaffen!